Die Leinenpflicht in Waldregionen in der «heissen» Phase
Seit dem 1. April und noch bis zum 31. Juli gilt im Kanton Zürich für alle Hunde in und um Waldgebiete die Leinenpflicht. Um Wildtiere möglichst gut zu
Barbara Guggenbühl vom Rümlanger Tierheim, selbst Hundehalterin, zeigt Verständnis für die befristete Leinenpflicht. Bild: rst
Seit dem 1. April und noch bis zum 31. Juli gilt im Kanton Zürich für alle Hunde in und um Waldgebiete die Leinenpflicht. Um Wildtiere möglichst gut zu
Region. Im Kanton Zürich gilt zur Zeit die Leinenpflicht sogar bis 50 Meter ausserhalb des Waldes. Kaspar Ganz ist Jagdbezirksobmann Zürcher-Unterland. Er sagt: «Die meisten haben Verständnis und halten sich daran. Aber näher man an die Stadt kommt, desto weniger ist dies der Fall.»
Die in Rümlang bestens bekannte und vernetzte Barbara Guggenbühl vom ortsansässigen Tierheim ist auf Katzen spezialisiert, aber selbst Halterin von zwei Kleinhunden. Die beiden betagten Bolonkas (14/15), der eine davon altersbedingt erblindet, würden eher von Katzen selbst gejagt, als dass sie selbst Fährten aufnähmen. «Doch ich verstehe das Gesetz. Ich selbst verzichtete in der jetzigen Zeit, in den Wald zu gehen. Es gibt genug Alternativen in der Umgebung, um den Hunden Auslauf zu geben.»
Eine andere Halterin, die beruflich in Rümlang tätig ist, betont, dass ihre beiden ungefährlich scheinenden Papillons (3/9; Sohn und Mutter) zwar nicht jagen, aber der Fährte schon nachgeben, wenn sie Wild riechen. «Ich würde auch für meine beiden Vierbeiner nicht die Hand ins Feuer legen. Doch wenn ich spüre, dass sie eine Fährte aufnehmen, unterbreche ich sie sofort oder so früh wie möglich. Bis jetzt hat es immer geklappt.»
Auf der Jagd sei ein Hund indes schnell, vorab auch deshalb, weil die Halter durch Handy oder anderes abgelenkt seien. «Ich finde deshalb das Gesetz sensationell, auch wenn ich meine Hunde noch so gerne Auslauf geben möchte. Natürlich sollte es keine kantonalen Unterschieden geben. Und ich will keine Ganzjahres-Leinenpflicht. Doch das Gesetz ist ja befristet, da kann man sich wirklich daran halten. Zudem kann man den Hunden mit den entsprechenden Leinen-Varianten immer noch einen grossen Bewegungsradius ermöglichen.»
Laut Jagdaufseher Ganz war man mit der Erteilung der veranschlagten 60-Franken-Bussen zurückhaltend, da man in einer ersten Phase auf Information setzte. Dies wird sich nun ändern. Denn ab zirka Mitte Mai werden beispielsweise auch vermehrt Reh-Kitze ihre ersten Gehversuche unternehmen.
Der Kanton Baselland, der übrigens eine stetig anwachsende Anzahl Jägerinnen verzeichnet, sieht beispielsweise gar eine ganzjährige Leinenpflicht in Wildruhegebieten vor. Für eine rigorose Durchsetzung der Leinenpflicht, unabhängig vom Gelände, ist unlängst auch Ascona in die Schlagzeilen geraten. Im Tessin schreibt das Gesetz vor, dass Hunde im öffentlichen Raum, der von Tieren und Personen frequentiert wird, an der Leine geführt werden müssen.
Am Waldrand und im Wald gelten frei laufende Hunde als eine zusätzliche Störungsquelle und auch eine Gefahr für am Boden brütende Vögel und Wildtiere, deren Jungtiere schutzlos am Boden verharren. Gerade deshalb sind insbesondere auch kleine Hunde an der Leine zu halten.
Jagdbezirks-Obmann Ganz betont, dass es einen «Entleinungs»-Tourismus gegeben habe, da diese Leinenpflicht im Kanton Aargau schon lange vor Zürich eingeführt worden war. Deshalb hätten einige an den Kanton Aargau angrenzende Furttaler Gemeinden selbstbestimmt die Verordnung ebenfalls schon früher eingeführt. Ursprünglich stamme die Initiative zur Leinenpflicht vom Tierschutz und dem Veterinärwesen her, so Ganz.
Ausgebildete Jagdbezirks-Aufseher mit der Zusatzausbildung zur Ordnungsbussen-Veranlassung, dürfen die entsprechenden Sanktionen verhängen. Fussgänger, die trotz Rotlicht die Strasse überqueren, werden äusserst selten gebüsst. Ob es sich bei den Sanktionen wegen Missachtung der Leinenpflicht anders verhält, ist fraglich.
Ganz ist indes überzeugt, dass ein Fussgänger sich vielleicht noch rasch vom «Tatort» entfernen kann, was beim Hundehalter weniger der Fall sei. Zumal der Halter früher oder später bei einem andern «Gassigehen» mit seinem Vierbeiner wohl wieder im gleichen Gebiet vorbeikommt.
Ganz selbst weiss aber, dass er erst jemanden büssen kann, wenn er einen Verstoss mit eigenen Augen gesehen hat. «Da muss ich dann halt selbst nachschauen gehen, ob es sich tatsächlich so verhält.» Eine Hundesitterin aus Bülach bestätigt zudem gegenüber der «Unterland Zeitung», dass die soziale Kontrolle spiele. Oder polemischer formuliert, dass Hundebesitzer sich untereinander durchaus «auch verpetzen».
Eine Hundehalterin aus einer Furttaler Gemeinde mit einem Leistungshund und abgeschlossenen Begleithundeprüfungen BH1 und BH2, einem kecken Mittelschnauzer, stellt fest, dass eine Leinenpflicht die Hundebesitzer immer weniger dazu bringe, ihre Hunde generell zu erziehen. Dadurch werde auch die Sozialisierung verringert oder vernachlässigt.
Die Sozialisierung gerate immer mehr in die Vergessenheit und somit würden die Hunde verunsichert und aggressiver. Ihr eigener Vierbeiner sei schon vier Mal von anderen Hunden gebissen worden. «Je besser der Hund ausgebildet und gefordert ist, desto besser die Sozialisierung», ist sie überzeugt.
Die «Hundetrainerin» hat selbst schon die Polizei gerufen, als sie mitbekam, dass ein Hundehalter seine zwei Hunde über eine Stunde lang ein Reh jagen liess. Sie wurde dann ein paar Monate später vernommen, was schliesslich zu einem Gerichtsurteil des Mannes führte.
Bei den Waldspaziergängen mit ihrem Vierbeiner hat sie persönlich festgestellt, dass Wildtiere dem Duo in Sichtweite gar neugierige Blicke zuwerfen und nicht flüchten, wie Video-Aufnahmen belegen. Ganz sieht dies indes anders: «Sie flüchten erst, wenn die Dame oder der Hund sich unmittelbar nähern, man muss fast draufstehen.»
Selbst bei einem perfekt trainierten Abruf des Hundes besteht laut Ganz die Gefahr, dass das Haustier seinem Jagdtrieb folgt. «Mein eigener Hund ist jagdlich ausgebildet und geprüft. Er darf nur gehen, wenn ich ihm das Kommando gebe, das funktioniert zu 95 Prozent, wöchentlich wird trainiert.»
In den letzten zwei Wochen im April ist wegen Nicht-Einhaltung der Leinenpflicht mindestens in zwei Fällen im Zürcher Unterland das Worst-Case-Szenario eingetreten. Es gab laut Ganz nachweislich zwei Fälle von durch Hunde gerissenem Wild. Doch die Dunkelziffer sei wohl bedeutend höher. «Denn die schwer angeschlagenen oder verendeten Tiere werden rasch von anderen Wildtieren wie Wildschweinen, Füchsen etc. gegessen, so dass bald keine Spuren mehr sichtbar sind.»
Dass sich Halter bei einem von ihrem Hund gerissenen Wild selbst anzeigen, kommt natürlich kaum vor. Freilich werden nicht nur «Hündeler» für Waldvergehen gebüsst. Auch Jäger selbst können gebüsst werden. Es kann vorkommen, dass beispielsweise die abgeschossene Wildsau versehentlich trächtig oder in der Schonzeit zu alt ist - in beiden Fällen steht sie deshalb unter Abschuss-Schutz.
Selbst mit Erfahrung liessen sich solche Fehler nicht immer vermeiden. Wenn man zwei oder drei Nächte vergebens warte und unter Druck des Bauerns stünde, der sein Feld «nicht mehr verwüstet vorfinden möchte, die Schäden werden durch die Jäger bezahlt, kann dies selbst einem erfahrenen Schützen passieren», sagt Ganz.
Richard Stoffel
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